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Linksfraktion Wandsbek

Bezirksversammlung am 8.9.: Bezirkliche Vorkehrungen gegen Inflation und Energiekrise und Grundbildung für alle Wandsbeker*innen!

Bei der Bezirksversammlung am 8.9.2022 hat die Fraktion DIE LINKE wieder wichtige Themen auf die Tagesordnung gesetzt: In einer Aktuellen Stunden haben wir mit den anderen Parteien diskutiert, welche Vorkehrungen der Bezirk mit Blick auf den Herbst / Winter und die Folgen von Inflation und Energiekrise treffen muss. Etwas später haben wir mit unserem Debattenantrag die dramatischen Zahlen fehlender Grundbildung thematisiert!

Debattenantrag: Wo finden Wandsbeker:innen den "Schlüssel-zur-Welt"? Aktiv für einen besseren Zugang zur Grundbildung für alle auf Bezirksebene! Debattenantrag der Fraktion Die Linke

Wusstest ihr, dass mehr als 16 Millionen Menschen zwischen 18 bis 64 Jahren betrifft in Deutschland nur unzureichend Lesen und Schreiben können? Das hat die LEO-Studie der Universtität Hamburg 2018 herausgefunden. Umgerechnet auf Hamburg sind somit durchschnittlich mehr als 150.000 Menschen, davon etwa 32.500 aus Wandsbek, von einer sogenannten nicht ausreichenden Literarisierung betroffen.

Diese Problematik einer fehlenden Grundbildung haben wir in unserem Debattenantrag bei der Bezirksversammlung am 8.9., dem Welt-Alphabetisierungstag, aufgenommen.  Unser Antrag wurde mit leichten redaktionellen Änderungen angenommen. Der ganze Debattenantrag ist hier zu sehen. 

Hier folgt nun die Rede von unserer Bezirksabgeordneten Sabine Muhl zum Debattenantrag im Wortlaut (es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und Herren, guten Abend,

wer momentan mit der Hamburger Bahn fährt, kann auf den bekannten Wer­betafeln u.a. folgendes Zitat von Nelson Mandela lesen: „Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern.“ Perfektes Timing für meine Rede heute. Heute, am 8. September, ist der Welt-Alphabetisierungstag.
Die UNESCO hat diesen Tag im Anschluss an die Weltkonferenz zur Beseiti­gung des Anal­phabetentums 1965 ins Leben gerufen. Weltweit sind rund 860 Mio. Menschen betroffen, 860 Mio. Menschen! Jedes Land hat natürlich eigene Besonderheiten und Schwerpunkte.

Wie ist die Lage in Deutschland? In Hamburg?
Lange Zeit war das Thema Analphabetismus in Deutschland tabu, zunächst wurde es eher in strukturschwachen Ländern verortet. Aber 2015 riefen Bund und Länder die AlphaDekade ins Leben, die Nationale Dekade für Alphabeti­sierung und Grundbildung. Bis 2026 soll sich die Lese- und Schreibfähigkeit von Erwachsenen maßgeblich verbessern und das Thema auch öffentlich be­kannter werden.

Das Bundesministerium für Bildung und For­schung unterhält unter dem Do­mainnamen mein-schluessel-zur-welt.de eine informative Seite und bietet In­teressierten weitere Anlaufstellen, online und offline.

Wo stehen wir momentan?

In Deutschland sind die Zahlen seit Jahren relativ stabil, sie sinken nur lang­sam. Anal­phabetismus bedeutet bei uns die paradoxe Kombination von einem früheren, i.d.R. lang­jährigen Schulbesuch, der laut LEO Studie der Hamburger Universität in über 22% der Fälle ohne formalen Abschluss endet, mehr als 40 % erwerben nur einen geringen formalen Abschluss.
In Hamburg hat sich die Quote der Schulabgänger:innen ohne ESA auf 7,2 % erhöht (2020, also noch ohne coronabedingte Verschärfungen).
Diese Jugendlichen erwer­ben auf dem ersten Bildungsweg nur unzureichende Schriftsprachkenntnisse. Und die Abwärtsspirale geht weiter. Nach einer Stu­die der Bertelsmann Stiftung haben knapp 15 % der jungen Erwachsenen keinen Berufsabschluss, Tendenz steigend bei abnehmenden Angeboten auf dem Arbeitsmarkt.

Die LEO Studie ist die größte und wichtigste repräsentative Studie zur Literali­tät von Erwachsenen in Deutsch­land. Demnach gelten 6,2 Mio. erwerbsfähi­ge Personen zwischen 18 und 64 Jahren (alpha Level 1 bis 3, Buchstaben-/Wort-/Satzebene) und weitere 13,3 Mio. (alpha Level 4) (Tex­tebene) als gering literalisiert.
Die letztgenannte Gruppe kann nur auf Grundschulniveau Texte lesen und verstehen, selbst gebräuchliche Begriffe werden fehlerhaft geschrieben. Das sind erschreckend hohe Zahlen. Diese Gruppe zählt nicht mehr zu den funktio­nalen Analphabeten, weil sie die Textebene erreicht.

Das alles hat lebenslange Folgen. Sozial. Wirtschaftlich. Gesellschaftlich.

Geringe Literalität ist ein multikausales Problem. Es ist ein gesellschaftliches und strukturelles Problem. Es entsteht im Zusammenspiel indi­vidueller, familiä­rer, schulischer und gesellschaftlicher Faktoren (Bremer Deutschdidakt­iker Prof. Nickel).

Nur wenige gehen offen damit um, die Betroffenen wollen nicht auffallen und verfügen doch über Res­sourcen, die im Arbeitsumfeld hoch im Kurs stehen. Über 62% gehen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Mehr Männer als Frauen sind betroffen, über die Hälfte hat Deutsch als Muttersprache.

Ja, Sie haben richtig gehört, rund 20 Mio. Menschen gelten als gering literali­siert. Da kann man sicher ohne Übertreibung von einer Bildungskrise sprechen. Aber anders als die aktuell hohen Energiepreise, die zu lautstarker Empörung geführt ha­ben und bei denen es zumindest kurzfristig Versuche gibt, diese zu subventionieren, gibt es irritierenderweise über die langjährige Bildungsmise­re wenig lautstarke Empörung. Und kaum Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Das wollen wir ändern. Dafür bitten wir um Ihre Unterstützung.

Bildungsarmut und Bildungsungerechtigkeit betreffen uns auch als Gesell­schaft. Denn für so viele Frauen und Männer ist eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oft gar nicht oder nur eingeschränkt möglich.

Die Studienleiterin Prof. Dr. Grotlüschen kommt in der LEO Studie zum Schluss, dass Menschen mit geringer formaler Bildung eher offen sind für Verschwörungstheorien. Wohin kann es führen, wenn man nicht zwischen News und Fake News unter­scheiden kann, wenn man Propaganda nicht erkennt oder wenn man sich am Sturm auf Regie­rungsgebäude beteiligt oder Impfpässe fälscht? Seit Jahren steigt die Zahl der rassistischen, antifeministischen und antisemi­tischen so­wie queerfeindlichen Übergriffe.

Welche Angebote gibt es bereits?

Gering Literalisierte nehmen deutlich seltener an Weiterbildungen teil als an­dere Erwerbs­tätige, sie nutzen kaum Alphabeti­sierungs- oder Grundbildungs­kurse, wie sie z.B. kostenlos bei der vhs ange­boten werden. Viele wissen nicht, dass auch Freistellungen vom Arbeitgeber möglich sind. Das kostenlose alfa-Telefon informiert und hilft auch anonym weiter. Es gibt Infostände in den Bücherhallen, in der Zentralbibliothek fand übrigens am Montag die einzi­ge Veranstaltung in ganz Hamburg zum Thema statt, das ist zu wenig.


Was können wir hier auf Bezirksebene tun, um den Wandsbeker:innen „ihren“ Schlüs­sel-zur-Welt zu geben? Wir können zunächst für mehr Sichtbarkeit sorgen. Das Bundesministerium hat vier ver­schiedene Info-Ausstellungen zur Auswahl, digital oder analog. Statten wir das Wandsbe­ker Rathaus und die Kundenzentren mit den entspre­chenden Materialien aus! Je nach Art und Umfang benötigt man zwischen 8 bis 48 m² Fläche oder eben einen Bildschirm an der Wand für die Videodatei, besonders geeignet für Wartebereiche wie sie in jedem Kunden­zentrum vor­handen sind.

Die Auslage von Infomaterialien ist hilfreich, aber allein nicht ausreichend. Besser ist eine aktive Ansprache, Lernbotschafter:innen stärker einsetzen, mehr Netzwerkarbeit mit den entsprechenden Interessenverbänden. Aktive Bewerbung der Angebote des alfa-Telefons z.B. in den Sprechstunden des Be­zirksamtsleiters.

Wichtig ist die Stigmatisierung zu bekämpfen. Und wirksame Instrumente zu finden, um die Betroffenen besser zu erreichen.

Denn, um erneut Mr. Mandela zum Abschluss zu zitieren: Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern.
Auch bei uns.
Vielen Dank.

 

Aktuelle Stunde: Welche Vorkehrungen kann und muss der Bezirk treffen um dem Thema Energieknappheit und Energiepreisexplosion im kommenden Winter vorzubeugen? Aktuelle Stunde, angemeldet von der Fraktion Die Linke

Inflation und steigende Energiekosten lassen viele Menschen besorgt auf den Herbst und Winter blicken. DIE LINKE fordert gezielte Entlastung von Menschen mit geringen und mittleren Einkommen und die Einführung einer Übergewinnsteuer (mehr dazu hier).

Bei unserer Aktuellen Stunde haben wir die bezirkliche Verantwortung in den Blick genommen.

Rede von Thomas Iwan im kompletten Wortlaut

Liebe Kolleg*innen, sehr geehrte Damen und Herren,

Welche Vorkehrungen kann und muss der Bezirk treffen um dem Thema Energieknappheit und Energiepreisexplosion im kommenden Winter vorzubeugen? Das ist das Thema unserer Aktuellen Stunde. Sie merken schon, es brannte uns zu sehr auf der Seele, als das wir noch lange Zeit für das Finden einer fancy Überschrift hätten aufwenden wollen. Und eigentlich fehlt noch der Hinweis auf die allgemeine Steigerung der Lebenshaltungskosten.

Ich hoffe Sie haben sich jetzt nicht zu intensiv auf rhetorisch gehaltvolle Abwehrargumentationen für Fundamentalkritik am Entlastungspaket 3 vorbereitet. Da gäbe es eine Menge zu sagen, und dann gibt’s Gegenrede, und wir kloppen uns dann um Dinge, die wir am Ende kaum beeinflussen können. Wir wollen mit Ihnen aber heute nicht Bundestag spielen, sondern wir wollen darüber reden, wie sich dieser Bezirk, wie sich diese Stadt auf die kommenden Monate vorbereitet.

In Hamburg leben 366.300 Menschen in Armut oder sind von Armut betroffen. Das sind etwa 20% der Bevölkerung. Und wenn ich das etwas vereinfacht auf Wandsbek runterbreche, liegen wir bei über 80.000 Menschen.

Ganz ehrlich gefragt: Wer von Ihnen glaubt, dass diese Zahlen in den kommenden Monaten rückläufig sein werden? Das werden sie nicht, sie werden steigen. Und was Armut für Menschen bedeutet, das zeigt aktuell ganz gut ein Projekt an der HAW. Oder sprechen Sie einfach mal unvoreingenommen mit Armutsbetroffenen aus Ihrem Umfeld.

Die soziale Infrastruktur in dieser Stadt ist seit Jahren auf Kante genäht. Das bedeutet unsere Beratungs- und Versorgungsangebote haben auf dem Niveau des Status Quo schlicht nicht die Kapazitäten um die Aufgaben zu bewältigen, die vor uns stehen.

Gibt es im ASD Planungen, wie mit dem vorhersehbaren größer werdenden Beratungsbedarf in den Quartieren umgegangen werden soll? Werben Sie hierfür beim Senat zusätzliche Stellen ein, die etwa vor einem Monat hätten ausgeschrieben werden müssen, damit die Kolleg*innen rechtzeitig eine Verstärkung sein können?

Hat man überlegt, dass das Sparen an Heizen und Lebensmitteln zuhause dafür sorgt, dass Eltern ihre Kinder vermehrt in Öffentliche Angebote schicken? Bildet das unsere Jugendhilfeplanung ab, kümmern wir uns um die Ressourcen, um das aufzufangen?

Die Ampel will den Kreis der Wohngeldberechtigten erhöhen. Was bedeutet das für die Anzahl der Wohnberechtigten in Wandsbek und vor allem für das Fachamt Grundsicherung und Soziales. Laufen die Vorbereitungen, um das erwartbare höhere Fallaufkommen bei den Themen Wohngeld und Grundsicherung bearbeiten zu können?

Und ganz platt gefragt: Wie steht es eigentlich mit der Umsetzung der Ziele des integrierten Klimaschutzkonzeptes. Wie weit sind wir da gerade? Es gibt eine neue Energieeinsparungsverordnung, wie wird die umgesetzt.

Es gibt, und das gilt auch für Hamburg Wandsbek, viele Menschen, die Not leiden. Und es werden in absehbarer Zeit noch mehr Menschen in Not geraten. Diese Menschen verdienen unsere Hilfe und ich kann nur hoffen, dass Sie mir gleich ihren fast fertig ausgereiften Plan präsentieren können, wie Sie das bewerkstelligen. Denn die Zeit wird knapp.

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